Berge, Meer und aufsehenerregende Architektur

Ob subtile Interventionen oder spektakuläre Bauten – eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort, dem Kontext und der umgebenden Landschaft liegt in der DNA des renommierten Büros Snøhetta. Drei aktuelle Projekte aus der Werkstatt der international tätigen Architektur-Vordenker zeigen, wie Architektur einen wichtigen Beitrag zum Tourismus leisten kann.

Die Stadt Innsbruck pflegt ein Image als “alpin-urbanes Zentrum”. Immerhin gelangen Besucher in wenigen Minuten vom Stadtzentrum auf 2.300 Meter Höhe und somit mitten in die Alpen. Die Innsbrucker Nordkette zieht Extremsportler genauso an wie Städtetouristen. Besucher und Einheimische schätzen die einzigartige Lage am Rande des Karwendels. Mit dem Perspektivenweg von Snøhetta gibt es auf der Nordkette nun ein zusätzliches Angebot für ein individuelles Bergerlebnis. Zehn subtile architektonische Interventionen, die sich nahtlos in die Landschaft fügen, bieten auf dem so genannten Perspektivenweg die Möglichkeit, die alpine Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erleben. In der Nähe der Station Seegrube auf 1.905 Metern gelegen, locken die einzelnen Elemente dieses 2,8 Kilometer langen Rundwanderwegs zu einem Spaziergang in alpiner Umgebung. Snøhetta setzte auf subtile architektonische Eingriffe, die Blicke gezielt lenken und markante Perspektiven in Szene setzen. Jedes Element, von einzelnen Bänken bis zum Aussichtssteg, markiert einen besonderen Ort oder bietet sich als Treffpunkt an. Zitate des Philosophen Ludwig Wittgenstein wurden integriert und laden ein zur inneren Einkehr. Mit “Denk nicht, sondern schau!” bringt eines der Zitate die Essenz des Perspektivenwegs angesichts der dramatischen Kulisse auf den Punkt.

Blicke inszenierte Snøhetta auch bei der Gestaltung der Fuglemyrhytta, einer kleinen Selbstversorgerhütte in Oslo. Von dieser beliebten Wanderdestination aus können die Besucher den Blick über den Oslo-Fjord genießen. In der Nähe des Aussichtspunktes Vettakollen und der gleichnamigen U-Bahn-Station gelegen, ist der Holzbau nur zu Fuß zu erreichen. Untertags finden 16 Menschen Platz in der Berghütte. Eine Übernachtung ist für zehn Wanderer möglich. Zwei ungewöhnlich geformte und gegeneinander versetzte Holz-Volumina bieten ein spannendes Raumerlebnis und die Möglichkeit, den Platz für Schlafmöglichkeiten besser zu nutzen. Der großzügige Gemeinschaftsraum verfügt über eine beinahe vollständig verglaste Südfassade – und über spektakuläre Blicke auf Stadt und Fjord.

Um Blicke anderer Art geht es bei Under im norwegischen Lindesnes, dem ersten Unterwasserrestaurant in Europa. Eine 34 Meter lange monolithische Betonröhre ragt wie ein Periskop aus dem Meer. In unmittelbarer Nähe zu den Naturgewalten liegt der obere Teil an der felsigen Küste des südlichsten Punkts der norwegischen Küste. Der untere Teil des Betonbaus öffnet sich fünf Meter unter dem Meeresspiegel mit einem Panoramafenster zu seiner maritimen Umgebung. Während die Besucher regionale Spezialitäten genießen, können sie das Meeresleben draußen beobachten, das sich mit den Jahreszeiten und wechselnden Wetterbedingungen laufend ändert. Die architektonische Hommage an die wilde Meeres-Fauna und die felsige Küste dient auch als Forschungs- und Informationszentrum, um das reichhaltige maritime Leben in diesem von Salz- und Brackwasser geprägten Habitat besser kennenzulernen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Norwegischen bedeutet Under nicht nur “unten”, sondern auch “Wunder”. Der Name repräsentiert nicht nur die Essenz dessen, was Snøhetta mit dem Unterwasserrestaurant erreichen wollte. Es steht auch dafür, was touristische Architektur-Projekte ausmachen sollen: Das Gefühl eines Wunders zu vermitteln, Staunen anzuregen, die Sinne der Besucher zu stimulieren, lokale Besonderheiten gekonnt in Szene zu setzen, ob subtil oder spektakulär, den Bezug zum Kontext neu zu interpretieren und Touristen für den Ort, an dem sie sich befinden, zu sensibilisieren.

INFO Seit seiner Gründung 1989 erlangte das norwegische Büro Snøhetta mit Projekten wie der Oper in Oslo oder der Neugestaltung des Times Square in New York internationale Bekanntheit. An den Standorten Oslo, New York, Innsbruck, Paris, Adelaide, Hong Kong und San Francisco sind über 250 Architekten und Designer beschäftigt. Patrick Lüth lebte einige Jahre in Oslo, arbeitete dort an zahlreichen internationalen Projekten und leitet seit 2011 das Snøhetta Studio in Innsbruck.

TEXT / PATRICK LÜT
FOTOS / IVAR KVAAL, CHRISTIAN FLATSCHER,
OLE PETTER STEHEN, THOMAS SCHROTT
MEHR / www.snohetta.com